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Zur Zentralisierungsdebatte

Roman Obrovski



Zu den Querschüssen von ÖVP-Landespolitikern meint Haupt: "Die ÖVP hat schon immer darunter gelitten, dass sich die Regionalkaiser einen Dreck um das Wohlergehen Österreichs geschert haben."

"Die Besudelung aller von der ÖVP gestellten Landespolitiker durch Minister Haupt muss Konsequenzen haben. Dieser Minister ist reif für den Rücktritt", sagte der niederösterreichische Landtagsabgeordnete und AK-Vizepräsident Alfred Dirnberger (ÖAAB) in einer Aussendung.... Wir lassen uns nicht von den Epigonen jener, die Trümmer hinterlassen haben, die föderalistische Struktur unseres Staates durch ein obskures Führerprinzip zerstören."

Der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer (VP) kündigt an: "Wenn die Regierung Verwaltungsreform mit Zentralismus gleichsetzt, dann sind die Landeshauptleute auf den Barrikaden."

"Dezentralisierung heißt das Zauberwort - zentralistische Strukturen sind out", erklärte nun am Samstag der stellvertretende FPÖ-Bundesobmann und Vorarlberger Landesstatthalter (LH Stellvertreter) Hubert Gorbach in einer Parteiaussendung.

[STANDARD ONLINE 24./25. 3. 2001]


 
 

Im Brennpunkt

Die Zentralisierungstendenzen der Bundesregierung stehen im Brennpunkt der Debatte zur Verwaltungsreform. Die Diskussion um das AMS ist davon nur ein Teil. Der scharfe Ton verrät, dass es sich nicht um das vertraute Geplänkel um mehr oder weniger Föderalismus handelt. Es ist ernst. Das Ergebnis wird nicht nur Österreichs Binnenklima bestimmen. Es wird auch Auswirkungen auf den Prozess der europäischen Integration haben.

Europaweiter Reformbedarf

Damit Menschen in der Massengesellschaft möglichst reibungslos zusammenleben, müssen ihre Beziehungen und Interaktionen geregelt werden. Die Einübung solcher Regeln muss organisiert, ihre Einhaltung überwacht, ihre Verletzung sanktioniert, ihre Zweckmäßigkeit überprüft und an neue Erfordernisse angepasst werden.

In der Vergangenheit haben diese Aufgaben ausschließlich die Nationalstaaten und innerhalb dieser die Länder, die Gemeinden und Selbstverwaltungseinrichtungen übernommen. Mit der zunehmenden Integration Europas müssen viele Regeln europaweit vereinheitlicht und die Kompetenzen zu ihrer Erlassung, Einübung und Überwachung neu organisiert werden.

Was dabei herauskommt, wird entscheidend sein für die innere Stabilität der EU und für ihre Position unter den anderen Machtblöcken des Planeten. Anders formuliert: wenn die Europäer Europa nicht als gemeinsames Haus erleben und akzeptieren, wird die EU als Gemenge eigensinniger Staaten gegenüber Mächten wie den USA ökonomisch und politisch weiterhin schwach bleiben.

Kommt die Integration voran?

Daß ein vereintes Europa eine gemeinsame Außen-, Sicherheits-, Verkehrs-, Umwelt-, Währungs-, Steuerpolitik etc. braucht, ist leicht verständlich zu machen aber mühsam umzusetzen. Seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25.3.1957 ist dieser Prozess nur langsam, aber erfolgreich vorangekommen.

Die Europäer haben aus früheren, untauglichen Versuchen, Europa zu einen, gelernt. Frankreich und Deutschland haben nach 1945 mit einem wachsenden Kreis anderer Länder das Ziel der politischen Integration nicht mehr über den Irrweg wechselseitiger Eroberung verfolgt, sondern dazu den langen, aber sicheren Weg über die ökonomische Integration gewählt.

Mit der Gründung der politischen Union und mit der Einführung des EUROs ist den Europäern viel gelungen. Noch steht dieser Erfolg auf unsicheren Beinen. In den Mitgliedstaaten machen sich Skepsis, ja Widerstand gegen weitere Integrationsschritte breit. Dem Prozess der Integration droht nicht nur Stagnation, sondern bei schlechtem politischen Management sogar ein Rückschlag.

Furcht hemmt die Integration

Was sind die Quellen dieser Skepsis? Die einen wollen den Schilling nicht gegen den EURO tauschen, die anderen fürchten die unkontrollierte Zuwanderung von Konkurrenten um Arbeitsplätze und Lebenschancen. Was immer Menschen gegen Europa ins Treffen führen - meist fürchten sie den Verlust des Vertrauten im Abtausch gegen etwas Unbekanntes.

In dieser Situation erscheint der Nationalstaat plötzlich als Bollwerk gegen bedrohliche Veränderungen. Das ist kurios. Der Nationalstaat ist ein historisch überholtes Konzept aus dem 19. Jahrhundert. Die Überwindung nationalstaatlichen Denkens war, ist und bleibt die wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der politischen Integration Europas.

Verantwortungsbewußte Politiker erkennen dieses reaktionäre Potential und gehen damit behutsam um. Weniger verantwortungsbewußte beuten es aus. Vor zehn Jahren hat Jörg Haider die österreichische Nation verächtlich als Mißgeburt bezeichnet. Heute gebärdet er sich als militanter Nationalist, der die Österreicher vor der bösen EU beschützt.

Wenn das europäische Projekt erfolgreich sein soll, müssen Österreicher, Deutsche, Franzosen, Spanier, Schweden etc ihre Vorbehalte gegen Europa abbauen. Am Inn werden sich bald nicht mehr Österreicher und Deutsche begegnen, sondern Europäer aus Oberösterreich und Europäer aus Bayern. Wie lange aber wird es dauern, bis an der Oder nicht Polen und Deutsche, sondern Europäer aufeinander treffen? Es ist eine gewaltige Aufgabe für dieses Jahrhundert, die nationale Identität Schritt für Schritt gegen die neue, europäische Identität einzutauschen.

Furcht verringern durch Subsidiarität

Dazu werden die Europäer nur bereit sein, wenn sie den Ersatz althergebrachter nationalstaatlicher Regeln und Traditionen durch europäische Standards nicht als Verschlechterung, sondern als Fortschritt erleben. Das wird umso eher der Fall sein, wenn sie die Kontrolle über wichtige Aspekte ihres unmittelbaren Lebensbereiches im Zuge der Integration nicht verlieren, sondern im Gegenteil mehr Kontrolle darüber erlangen.

Nach dem Subsidiaritätsprinzip sollte eine höhere staatliche oder gesellschaftliche Einheit nur dann Funktionen einer niedereren Einheit an sich ziehen, wenn deren Kräfte nicht ausreichen, diese Funktionen wahrzunehmen. Die Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden wären daher neu zu diskutieren mit dem Ziel, die regionalen und lokalen Kompetenzen zu stärken.

Wenn die Menschen ihr Selbstgefühl unterhalb des nationalen Niveaus, dh ihre regionale Identität als Tiroler, Oberösterreicher, Vorarlberger etc nicht nur nicht verlieren, sondern durch mehr Selbstbestimmung verstärkt erfahren, wird ihnen der Abtausch der nationalen gegen die europäische Identität bei Fortschreiten der Integration sehr viel leichter fallen.

Reaktionäre Politik

Auch Bundespolitiker bekennen sich in Österreich gern und vollmundig zum Subsidiaritätsprinzip. Zu erwarten, daß sie diesem Bekenntnis auch Taten folgen lassen, ist freilich unrealistisch. Warum sollten Funktionäre von bundesstaatlichen Einrichtungen und Bundesorganisationen der Berufs- und Interessenverbände am Abbau eigener Macht arbeiten?

Gegen die EU wird ihre Position wider Willen schwächer, den Selbstverwaltungswünschen von Ländern und regionalen Körperschaften aber können sie aufgrund ihrer Machtpositionen erfolgreich entgegentreten. Die Front dieser Auseinandersetzung verläuft nicht entlang der Parteizugehörigkeit, sondern entlang der Funktionen in Bund, Land oder Stadt.

Die aktuellen Pläne und Taten der Bundespolitiker weisen offensive Zentralisierungstendenzen auf. Da eine solche Tendenz die nationale Identität stärkt und die regionalen Identitäten schwächt, hemmt sie den Fortschritt der europäischen Integration. Eine solche Politik kann daher zutreffend als "reaktionär" bezeichnet werden.

25. März 2001



Brief an Christoph Leitl - 6. 10. 2000
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